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Denkmal zweiter Weltkrieg in Wahlscheid

 

Zweiter Weltkrieg in Lohmar:

Amerikanische Flugzeuge trafen mit Kanonen Munitionszug in Wahlscheid
Erstellt 18.11.2015

Aus Anröchter Dolomit hat der Siegburger Steinmetz Markus Weisheit den aus vier Elementen bestehenden Gedenkstein geschaffen.

 

Foto: Krantz

 

Vor 70 Jahre haben amerikanische Flugzeuge einen Munitionszug am Wahlscheider Bahnhof getroffen. Mindestens sieben Menschen kamen dabei ums Leben.

Von Markus Caris und Dieter Krantz
 
Menschen starben. Teile der schweren Eisenbahnwaggons flogen bis zur „Ley“, dem Felsen oberhalb von Schiffarth. Ein Eisenträger fand sich auf dem Heiligenstock wieder. Ein kompletter Waggon war bis zur Wahlscheider Straße geschleudert, einige Häuser wurden völlig zerstört. Allzu viel weiß man heute nicht mehr von dem damaligen Inferno. Vor allem wissen immer weniger Menschen darum.

Am 15. Februar 1945 hatten amerikanische Flugzeuge mit ihren Bordkanonen einen Munitionszug am Wahlscheider Bahnhof getroffen. Die Explosion war gewaltig. Sie kostete mindestens sieben Menschen das Leben. Nur einer ist bekannt. Auf der Verladerampe stand zu dem Zeitpunkt der Landwirt Peter Krimmel aus Schachenauel mit einem Ochsenkarren. „Von ihm hat man nach dem Angriff nichts mehr gefunden“, berichtete Heimatforscher Siegfried Helser.

Zwangsarbeiter kamen ums Leben.

Namenlos blieben sechs holländische, polnische und ukrainische Zwangsarbeiter, die sich an jenem Tag in den Baracken am Gütergleis aufgehalten hatten, in Höhe des heutigen Forums Wahlscheid. Davon erzählte Frieda Bäcker, die im Krieg als Hebamme auch polnische Zwangsarbeiterinnen betreute. Die sechs wurden ohne Namensnennung auf dem Honrather Friedhof beigesetzt, wo sich die Tochter von Frieda Bäcker, die Grünen-Stadtverordnete Brigitte Bäcker-Gerdes, vor fünf Jahren erfolgreich für eine neue Grabsteinplatte einsetzte. Doch in Wahlscheid selbst erinnert bislang nichts an die Toten von damals.

Das ändert sich nun, 70 Jahre danach. Heute Abend wird nach einem ökumenischen Gedenkgottesdienst um 19 Uhr in der katholischen Kirche St. Bartholomäus gegenüber dem Forum und des alten Bahnhofs ein Gedenkstein an der Wahlscheider Straße enthüllt.

Dem evangelischen Superintendenten und Pfarrer von Wahlscheid, Reinhard Bartha, ist der Gedenkstein schon lange ein Anliegen. Er gewann alle acht katholischen und evangelischen Kirchengemeinden von Lohmar für das Vorhaben, mit dem der Siegburger Bildhauer Markus Weisheit beauftragt wurde. „Ende August haben wir mit der Umsetzung begonnen“, berichtete der Steinmetz, als er gestern mit seinem Mitarbeiter Jan Weidenbach den Gedenkstein fertigstellte. Etwa drei Tonnen schwer ist die fertige Arbeit, im Steinbruch hatte Weisheit den Block entdeckt und für den Wahlscheider Auftrag reservieren lassen. „Der war dafür prädestiniert.“

Aus Anröchter Dolomit entstand die Skulptur, „der Stein ist eigentlich grün, hat aber auch rostige Elemente“ – für Weisheit Ausdruck des Desolaten. Ein Bett aus Gleisschotter stellt die Verbindung zum tödlichen Munitionszug her, Stacheldraht hat der 49-Jährige ringsum in den Stein gemeißelt. Aber auch Hoffnung bringt die Skulptur zum Ausdruck: Die Fugen zwischen den vier Elementen des Gedenksteins bilden ein Kreuz, „Hoffnung auf das ewige Leben in Jesus Christus“ für den Protestanten Weisheit. Besucher seiner Werkstatt allerdings gemahnten die Bohrungen, die notwendig sind, um den Stein aufzuspalten, auch an Einschusslöcher.

Pfarrer Reinhard Bartha geht es um Erinnerung. Erinnerung auch an die besonderen Verhältnisse während der NS-Zeit und an einen seiner Amtsvorgänger, der mutig den Nazis widerstanden und dafür kaum Unterstützung im Ort gefunden hatte (siehe Infokasten).

Von „vielen Toten“ bei der Explosion 1945 hat Wilhelmine Zinn dem Altbürgermeister Horst Schöpe berichtet. Der hält am Mittwoch, 2. Dezember, 19 Uhr, in der alten Linde einen Vortrag über die Zeit zwischen Erstem und Zweitem Weltkrieg. Dafür hat er eigens die Witwe des früheren Wahlscheider Gemeindedirektors Alfred Zinn im Altersheim am Heiligenstock besucht, die ihm am Rande auch von dem Unglück erzählte, aber keine Zahl der Toten nennen konnte.

Schöpe selbst war damals vier Jahre alt. Er erinnert sich, dass er kurz vor dem Angriff der Flieger unweit des Bahnhofs gespielt hatte, und dass ihn seine Mutter kurz vor der Explosion in den Luftschutzkeller zog.

Wie die Recherchen ergaben, hätte die Explosion noch viel heftiger sein können. Denn zuvor standen an dem Bahnhof nicht drei, sondern insgesamt sechs Waggons voll Munition. Volkssturm-Leute hätten dann darauf hingewiesen, alle Waggons müssten weg, sie dürften keinesfalls im Ort stehen bleiben. Das sei zu gefährlich. Aber auch mit „nur“ drei Waggons fand man noch Jahrzehnte später Munitionsreste in den Äckern.

 

Historie: Mutiger Pfarrer aus Wahlscheid verweigerte Eid auf Hitler

Die Wahlscheider, die seit langem als ein besonderes, mit Originalen durchsetztes und aufmüpfiges Völkchen gelten, waren damals in der Mehrzahl ganz anders. Bei der Kommunalwahl am 12. März 1933 gingen nämlich von den zwölf Sitzen im Wahlscheider Gemeinderat zehn an die NSDAP, wie Kreisarchivarin Claudia Arndt recherchiert hat, und zwei ans katholische Zentrum. Zum Vergleich: Im benachbarten Lohmarer Rat bekam die NSDAP nur drei Sitze, das Zentrum sieben Sitze und die SPD zwei Sitze.

Bekannt vom Nazi-Unwesen im Ort ist ein Bild mit einem Lastwagen voller Braunhemden und dem Spruchband: „Jüd und Meckerer soll der Teufel holen.“ Ein „Meckerer“ in ihren Augen war Julius Wilhelm Kauert, evangelischer Pfarrer in Wahlscheid von 1909 bis 1949, ein mutiger Geistlicher. Er gehörte zur Bekennenden Kirche und war damit in Opposition zu Nazis und den auf Gleichschaltung der evangelischen Kirche ausgerichteten „Deutschen Christen“ sowie den staatlichen Kirchenausschüssen. Pfarrer Kauert verweigerte mit immer neuen Vorwänden den vorgeschrieben Beamteneid auf Adolf Hitler.

 

Mutiger Pfarrer gegen Nazis in Wahlscheid: Wilhelm Kauert

Wegen seines Verhaltens wurde ihm 1937 für ein Jahr die evangelische Bartholomäus-Kirche auf dem Berge gesperrt, angeblich wegen „Baufälligkeit“ des Turms, der aber heute noch felsenfest steht. Zugleich sperrte man die evangelische Schule gegenüber mit der ebenfalls vorgeschobenen Begründung, der Turm könne auf sie stürzen. Kauert ließ sich nicht einschüchtern, hielt seine Gottesdienste in der benachbarten Gaststätte „Zur alten Linde“. Das war nicht ungefährlich; Gegner protokollierten seine Predigten. (ca)